Die fetten Jahre sind vorbei, hört man es vielfach sagen. Wessen fette Jahre sind da eigentlich gemeint?

Haben die Sozialhilfeempfänger des Landkreises (bislang 6857) oder die 8600 Arbeitslosen, darunter ein Drittel langzeitarbeitslos, im Kreisgebiet fette Jahre hinter sich, die nun vorbei seien?

Wer bislang Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe oder Sozialhilfe bezog, hat in der Regel Monate oder auch Jahre der Einschränkung, des Durchwurstelns oder auch der Bedrückung durchlebt. Jetzt kommt es bei Vielen zu weiteren materiellen Einschränkungen. Niemand wird ernsthaft behaupten wollen, diese Menschen hätten vorher Jahre der Fettlebe verbracht.

Zehn Prozent der deutschen Haushalte an der Spitze der Vermögenspyramide verfügen über insgesamt knapp die Hälfte des Geldvermögens der Republik, umgekehrt die ärmere Hälfte der Bevölkerung nur über insgesamt zehn Prozent. Haben die vielen weniger Vermögenden, die gerade einmal über nur zehn Prozent des Geldvermögens verfügen, fette Jahre verlebt? Wohl kaum. Haben nun die Superreichen nach dem Verfassungsgrundsatz Eigentum verpflichtet (Artikel 14 Abs. 2) zugunsten der Allgemeinheit zurückgesteckt? Die zehn Prozent an der Spitze der Vermögenspyramide nannten 1990 47 Prozent des Geldvermögens ihr Eigen und heute 49 Prozent, d. h. sie haben nicht abgegeben, sondern weiter aufgehäuft. Wenn das so weitergeht, haben deren fette Jahre nicht aufgehört, sondern sich mit steigender Tendenz fortgesetzt. Was hat es also auf sich mit dem Satz die fetten Jahre sind vorbei? Zweifellos hat es in den vergangenen Jahren Einschränkungen gegeben. Die Reallöhne der meisten Arbeitnehmer sind kaum gestiegen, im öffentlichen Dienst und anderswo sogar spürbar gesunken. Arbeitszeitverlängerungen ohne Lohnausgleich werden allerorten gepredigt und zum Teil auch durchgesetzt. Zusammen mit gestiegenen Kosten für Gesundheit und Vorsorge gibt es auch ein Minus bei Ruheständlern. Diese Entwicklung trifft vor allem Arbeitnehmer und deren Familien in den unteren Lohngruppen und Männer und Frauen mit kleinen Renten. Die aber haben nie fette Jahre gehabt.

Und die gut und besser Verdienenden einschließlich der Spitzenverdiener? Letzteren hat nicht nur Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt Raffgier vorgeworfen, Nun wollen einige von ihnen auf zehn Prozent ihrer Bezüge verzichten. Stehen ihnen damit magere Jahre ins Haus?

Einige Vermögende haben die Zeichen der Zeit verstanden, in Hamburg und auch im Landkreis. Sie engagieren sich persönlich und stiften aus ihrem Vermögen für soziale Projekte, für künstlerische und andere förderungswürdige Vorhaben, für die öffentliche Mittel nicht fließen können. Das ist beispielgebend und vorbildlich und hilft, die entstandene Gerechtigkeitslücke etwas zu verkleinern.

Auf Dauer jedoch müssen die öffentlichen Haushalte, besonders auch die der Kommunen, wieder in Ordnung kommen. Der Landkreis hat gerade schwere Eingriffe beim Sozialhaushalt und ausgerechnet auch bei der Jugendarbeit, wie z.B. Schließung der Freizeitstätte Uhlenbusch, mit seiner CDU/FDP-Mehrheit beschlossen. Es muss aber aufhören, die schwächsten Glieder der Gesellschaft in die Pflicht zu nehmen und die Besserverdienenden ungeschoren zu lassen. Denn auch bei der Jugendarbeit wurde nicht aus dem Vollen geschöpft, fette Jahre gab es da nicht.

Es gibt in der Bundesrepublik durchaus eine Bereitschaft, materielle Opfer zu bringen, wenn es Not tut. Die überwältigende Spendenbereitschaft für die Opfer der Flutkatastrophe in Südost-Asien zeigt das erneut. Es gibt aber auch genauso die Aufgabe, die öffentlichen Haushalte so auszustatten, dass der Staat seine verfassungsmäßige Aufgabe, ein sozialer Bundesstaat (Artikel 20 Abs. 1) zu sein, erfüllen kann und dazu braucht er auch die notwendigen Mittel.

Notwendig ist also eine durchgreifende kommunale Finanzreform, welche die Kommunen wieder politisch handlungsfähig werden lässt. Es geht nicht darum, fette gegen magere Jahre auszuspielen, es geht um eine Gerechtigkeitslücke, die geschlossen werden muss und das geschieht durch eine aktive, ausgleichende Sozialpolitik, nicht durch bloß formale Rechtsgleichheit für alle, wie es die Liberalen immer glauben machen wollen. Wie sagte doch schon der französische Poet und Aphoristiker Anatole France: Das Recht in seiner erhabenen Gleichheit verbietet es Armen wie Reichen unter Brücken zu schlafen. Prof. Dr. Jens-Rainer Ahrens Vorsitzender SPD-Kreistagsfraktion